Markteinschätzung Februar 2021

Großbritannien nach dem Brexit


„Brexit! Brexit!“ lauteten vor Jahren immer wieder die Rufe, die von britischen Fischkuttern herüberschallten, wenn die Boote einem Fischereischiff aus Kontinentaleuropa nah kamen. Die englischen Fischer konnten den Austritt ihres Landes aus der EU kaum erwarten und die Vorfreude war groß. Die Fischgründe der Insel sind naturgemäß vergleichsweise groß. Diese mit Nicht-Insulanern teilen zu müssen, war den englischen Fischern ein Gräuel.

Im Juni 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Briten, die zu den Urnen gegangen waren, für den Austritt aus der EU. Jahrelang hatten nicht nur Fischer und Stammtische, sondern auch zahlreiche Medien und Politiker auf die Europäische Union geschimpft. So war eine Stimmung entstanden, die so mancher Politiker für sich zu nutzen wusste. Ausgerechnet Boris Johnson, der den Nutzen der EU-Mitgliedschaft für sein Land nur allzu gut kannte und in seinen alten Reden gepriesen hatte, setzte sich an die Spitze der Brexit-Bewegung und wurde Premierminister. Zu seinem Brexit-Märchen passte die Botschaft, der britischen Wirtschaft ginge es ohne EU besser. Vordergründig drohte er deshalb wiederholt mit einem „harten“, also vollkommen ungeregelten Brexit.

Die wirtschaftliche Wirklichkeit sieht anders aus. Ein Rückfall auf die international als Minimum vereinbarten Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) hätte der Wirtschaft auf dem Kontinent nicht gefallen können. Für die britische Wirtschaft wären die hohen Zölle und bürokratischen Hürden dagegen katastrophal gewesen. Über die Hälfte seiner Importe und Exporte wickelte Großbritannien bislang mit der EU ab. Umgekehrt entfällt aus Sicht der EU nur ein Anteil von rund fünf Prozent auf Großbritannien.

Der Erfolgsdruck war also groß, aber offenbar erst kurz vor Weihnachten groß genug, um eine Einigung zu erzielen. Viereinhalb Jahre nach dem Austrittsreferendum einigte man sich kurz vor dem Ende der Übergangsfrist auf ein Handelsabkommen. Gegenüber den weltweit gültigen WHO-Regeln ist darin eine grundsätzliche Zoll- und Quotenfreiheit vereinbart, was angesichts der großen Bedeutung der EU als Absatzmarkt für britische Produkte für die Exporteure auf der Insel überlebenswichtig ist. Volkswirte und Kapitalmarktexperten werten dies als Stütze für den britischen Aktienmarkt und für das britische Pfund.

Indizes für britische Aktien entwickelten sich kurzfristig nach dem Verhandlungsergebnis bis zum Ende der ersten Januarwoche etwas besser als kontinentaleuropäische Aktienindizes. Aber schon bis Ende Januar flachte dieser Effekt wieder ab. Deutlicher war die Erleichterung am Devisenmarkt. Vor Weihnachten war ein britisches Pfund etwa 1,11 Euro wert. Im Laufe des Januars stieg der Wechselkurs auf rund 1,13 Euro. Dies bedeutet immerhin eine Aufwertung um fast zwei Prozent. Ein übergeordneter Trend ist damit aber noch nicht erkennbar. Seit dem Brexit-Referendum Mitte 2016 pendelt der Wechselkurs zum Euro zwischen 1,06 und 1,20 Euro und liegt wieder in der Mitte dieser Bandbreite.

Großer Optimismus für die britische Volkswirtschaft erscheint nicht angebracht, denn die selbst betriebene Abkoppelung vom wichtigsten Handelspartner wird durch das Abkommen nur abgemildert. Der Handel wird gegenüber den früheren Verhältnissen deutlich verkompliziert. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen kämpfen jetzt mit den Konsequenzen des Brexits. Nach einer Umfrage der Logistik-Branche „Chartered Institute of Procurement & Supply“ gibt es derzeit bei 60 Prozent der Lieferketten Probleme. Viele Unternehmen stellen die Anforderungen an Exportpapiere vor Probleme. Denn die mit der EU vereinbarte Zollfreiheit setzt Exportpapiere voraus, die ausgefüllt, erfasst, verarbeitet und genehmigt werden müssen.

Staat und Unternehmen sind darauf schlecht vorbereitet, weil die Regierung Johnson bis zum Schluss nicht zugeben wollte, welche Handelshemmnisse auf die Industrie zukommen würden.

Diese sind Ausfuhranmeldungen, Zollpassierscheinhefte, Ursprungszeugnisse, Warenverkehrsbescheinigungen, Lieferantenerklärungen und die Registrierung von ausländischen Mehrwertsteuerzahlungen. Das staatliche Computersystem für Exporterklärungen stammt aus dem Jahr 1994 und bewältigt die schlagartig von 55 auf 260 Millionen gestiegene Zahl kaum. Dabei wird der Handel mit weiteren Übergangsfristen noch geschont. Sie laufen nach einer Aufstellung des britischen Institute for Government aber größtenteils in diesem Jahr aus. Nach einer Analyse der Gesellschaft „UK in a Changing Europe“ wird der Handel Großbritanniens langfristig 13 Prozent niedriger ausfallen als mit EU-Mitgliedschaft. Nicht nur die großen Konzerne, sondern sogar Mittelständler verlagern Betriebsstätten von der Insel auf den Kontinent.

Britische Aktien haben sich seit dem Referendum im Juni 2016 schwächer entwickelt als der Durchschnitt kontinentaleuropäischer Aktien. Dies lässt sich insbesondere dann feststellen, wenn man die Währungsverluste des britischen Pfundes berücksichtigt, die mit dem Brexit-Votum entstanden. Die aktuelle Bewertung des Aktienmarktes spiegelt die geschwächte Verfassung der Volkswirtschaft wider. „Viele britische Unternehmen werden derzeit zu sehr niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt“, erklärte Sue Noffke, Leiterin UK Equities bei der Fondsgesellschaft Schroders. Sie haben sich vom Corona-Crash längst nicht so gut erholt wie die Konkurrenz aus den USA oder Asien. Aber die meisten börsennotierten, größeren britischen Unternehmen können sich mit den neuen Gegebenheiten arrangieren, sodass es keinen Grund gibt, britische Aktien
grundsätzlich zu meiden. Schwergewichte in den Aktienindizes und auch vielen Aktienfonds sind Rohstoff- und Ölkonzerne, deren Heimatbörse zwar London ist, die aber global agieren.

Die „Brexit! Brexit!“-Rufe der englischen Fischer sind verstummt. Heute demonstrieren sie wutentbrannt mit Sattelschleppern vor dem Parlament in London. Entgegen aller Versprechungen von Boris Johnson darf die EU weiter in den britischen Zwölf-Meilen-Gewässern fischen, während sich die Fangquoten für das Vereinigte Königreich nur wenig erhöhen. Auch die Fischer sind klare Verlierer des Brexits. Sie können ihre Fangquoten nicht mehr mit den EU-Mitgliedsstaaten tauschen und zudem ihren Fisch viel schlechter dorthin verkaufen. Die Erwiderung des Parlamentsvorsitzenden Jacob Rees-Mogg auf die Proteste der Fischer fiel zynisch aus: "Das Wichtigste ist doch, unser Fisch gehört wieder uns."

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